Die Kapelle auf dem Tussetberg  
   
  Ein Bericht von Otto Veith  
   
1. Die Tussetkapelle und Wallern

Der Berg

 
 
Legenden- und sagenumwoben schließt im Westen der steile und dicht bewaldete Tussetberg das Wallerer Becken ab. Eingeklemmt von der Kalten und der Warmen Moldau schiebt sich das Bergmassiv bis an die weite Wiesen- und Weidelandschaft vor. Südlich vom Hauptgipfel (1065 m) unter der mächtigen Felsengruppe (973 m) und den Trümmern eines alten Wartturmes steht die Tussetkapelle. Kein Berg und keine Wallfahrtsstätte im weiten Rund der Heimatberge ist so eng mit der Vergangenheit Wallerns verbunden.
 
In alter Zeit

Schon im 13. Jahrhundert war wohl der Wartturm auf dem Tussetberg zum Schutz der Kaufleute und Säumer errichtet worden. Viel Volk frachtete Jahrhunderte lang seine Waren auf dem Goldenen Steig von Passau nach Prachatitz. Wallern bot den müden Säumern Schutz und Herberge in dem großen und unendlichen Wald. Ihren Weg von Passau her säumten sicherlich zahlreiche Kapellen und Bildstöckl, bei denen die Säumer ihre Andachten verrichten konnten. Nach einer ersten mündlichen Wallerer Überlieferung stand im 17. Jahrhundert unweit der Säumerbrücke eine kleine Holzkapelle mit einem Marienbild, dort wo die im Dreißigjährigen Krieg so heißumstrittenen "Wallerer Schanzen" waren. Dieser Aufstellungsort deckt sich mit dem Flurnamen "Schounzhüwl" an der Moldauschleife "beim Ochsenstand", etwa 300 m südwestlich der Säumerbrücke.

Als die Schweden einfielen, zog mit ihnen Elend, Not, Krankheit und Tod mit. Es trug sich zu dieser Zeit zu, dass ein Vogelfänger, "ein braver Mann namens Wenzel" genötigt ward, den Schweden den richtigen Weg durch die unwirtlichen Wälder zu zeigen. Er fürchtete um das Marienbild und alsbald versteckte er es in einem wilden Steingeklüft am Tussetberg, so dass das Bild den Krieg heil überdauern konnte. Der Ort, an dem es versteckt war, heißt heute noch "Brav (W=ausgelassen) enzlfelsen". Säumer haben später das Marienbild wieder gefunden und an einem Baum nahe einer Quelle befestigt. Daneben stellten sie eine Opferbüchse auf, deren Erträge armen und verunglückten Säumern zukommen sollte.

 
 
Wallern im Böhmerwald, einst Herberge am Goldenen Steig
 
Die Legenden

Ein lutherischer Soldat kam einmal des Weges und schlug mit seinem Säbel auf das Marienbild ein, um es zu zerstören. Als er den ersten Streich getan, ging vom Bild ein solcher Lichtschein aus, dass er sogleich geblendet zu Boden stürzte. Er fiel auf die Knie und glaubte von nun an an die Muttergottes.

Einmal geschah es wieder, dass ein Jäger das Marienbild in die nahe Moldau warf. Zu seinem Entsetzen aber ging das Bild nicht unter, sondern schwamm hell strahlend flussaufwärts. Vergeblich suchte der Jäger das Bild wieder zu retten, doch es gelang ihm nicht. Er verlor nach dieser Missetat sein Augenlicht und konnte lange nicht mehr genesen.

 
Jakob Klauser

Lange Zeit hörte man nichts mehr von diesen wunderbaren Vorfällen. Die erste verlässliche schriftliche Nachricht vom Bild der Gottesmutter vom Tussetberg erfahren wir 1791.

Der Wallerer Bürger und Schmiedemeister Jakob Klauser, der schon drei Jahre blind war, hörte, wie jemand im Traum zu ihm sprach:
"Du wirst wieder dein Augenlicht erhalten, aber geh nur in den Tussetwald, dort wirst du ein Bild finden!" Drei Nächte hintereinander erhielt der fromme Mann diese Weisung. Er betete vertrauensvoll zur Gottesmutter, und seine blinden Augen öffneten sich. In diesem Augenblick sah er im Fenster ein Marienbild, das aber sofort wieder verschwand. Mit einer ledernen Brottasche ? sie wurde noch hundert Jahre später in Wallern gezeigt - machte er sich auf den weiten Weg. Nach stundenlangem Umherirren im Tussetwald fand er endlich am Abend an der Quelle beim großen Felsen einen Baum, daran ein Marienbild hing. Klauser erkannte es als dasselbe, in das er am Morgen dieses Freudentages in seinem Stubenfenster geschaut hatte. Alle Wallerer hielten es nachher für das sagenhafte Bild vom "Schounzhüwl", das ihnen von ihren Eltern genau beschrieben worden war. Jakob Klauser betete die ganze Nacht am Tussetquell. Und er gelobte, an dieser Stelle eine Kapelle zu bauen.
Jakob Klauser, die Wallerer nannten ihn "Schmiedjogl", war als kunstfertiger Schmied weit und breit bekannt. Er stammt aus dem "Andresl-Haus" in Brenntenberg. Wie aus den Wallerer Bürgerlisten zu entnehmen ist, kam er kurz vor 1773 nach Wallern, erwarb dort das Haus Nr. 63 (das spätere Sulzerfaber-Haus in der Unteren Bachzeile), das er dann 1777 mit seinem Schwiegervater Franz Salzer, dessen Tochter Maria er heiratete, für das gleich hinter der Pfarrkirche gelegene Haus Nr. 16 (Frounzl) vertauschte. 1804 übergab Klauser dieses Anwesen seinem Schwiegersohn Mathias Lichtnecker, dessen Nachkommen bis zur Vertreibung auf diesem Haus blieben.

Wallern mit Hellgasse im Vordergrund. Das Eckhaus von der Kirche links (Frounzl)
gehörte Jakob Klauser. Im Hintergrund der Tusset.
 
Jakob Klauser, der sich wahrscheinlich den Sehverlust beim Schmieden zugezogen hatte, fuhr bereits vier Tage nach seiner wunderbaren Heilung mit einem Ochsenfuhrwerk, auf den das nötige Baumaterial geladen war, zum Tussetberg und fing mit dem Kapellenbau an. Als der kleine Holzbau wohl noch 1791 fertig war, holte Klauser das Marienbild vom Baum und stellte es hinein. Bald wurde seine Andachtsstätte zum Wallfahrtsziel vieler Leute, vor allem Kranker und ganz besonders Augenleidender, die oft auch Heilung fanden. Klauser verbrachte Tage, oft sogar Wochen dort, um in der einsamen Waldkapelle zu beten. 1794 schrieb er über seine Heilung eine Urkunde nieder, die noch lange Zeit im Pfarrarchiv zu Wallern aufgehoben wurde.

Am 3. Juli 1807 starb Jakob Klauser zu Wallern im Alter von 70 Jahren.

 
Der Waldstreit

Das verbriefte Holzungs- und Weiderecht der Wallerer lastete schwer auf den herrschaftlichen Wäldern, zumal die Wallerer oftmals ihre Freibriefe nach ihrem eigenen Gutdünken auslegten. Sie fällten Holz, wie es ihnen passte; ihr Vieh trieben sie "hinterm Tussetberge bis gegen das Passauische". Seit 1613 gab es immer wieder Streitigkeiten. 1783 machte der Fürst Schwarzenberg die erste Anzeige bei der Landesstelle. Nun ging das "Prozessieren" erst richtig los. Kaiser Franz drängte die Streitenden zu einem gütlichen Vergleich, zu dem es dann 1804 auch kam. Am 20. Nov. 1810 schließlich war der Waldstreit beigelegt. Die Wallerer mussten im Ausgleich mit anderen Waldungen auf ihr verbrieftes Holzungs- und Weiderecht am Tussetberg verzichten.
Nun war aber die Kapelle am Tusset eine vielbesuchte Marienwallfahrt der Wallerer und so wollten sie das Gnadenbild keinesfalls dem Fürsten überlassen. Man verbrachte es nach Wallern. Zwei Bürger trugen es in den Markt und das Bild sollte seinen Platz in einer Seitenkapelle (St. Johannis-Nepomuk-Kapelle) finden. Die Legende erzählt, dass aber das Bild auf wunderbare Weise wieder in die Tussetkapelle zurückkehrte und erst, als man das Marienbild in einer feierlichen Prozession nach Wallern verbrachte, blieb es an seinem neuen Platz. Die Wallerer nannten diese Seitenkapelle von nun an "Tussetkapelle in der Pfarrkirche".

 
Beim großen Feuersturm in Wallern am 22./23.7.1863, der 60 Häuser in Schutt und Asche legte, ging auch die Pfarrkirche unter und mit ihr das Gnadenbild der "Muttergottes vom Tussetberg".

Mit der Kapelle am Tussetberg blieben die Wallerer auch nach dem Waldstreit bis zu den Tagen der Vertreibung stets eng verbunden und sie machten viele Wallfahrten zur einsamen Waldkapelle unterm Tussetfelsen.