Geschichten der alten Tussetkapelle | |
von Rosl Tahedl | |
In der alten Tussetkapelle | ||||
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Solche Bildgeschichten - meistens
auf Blechtafeln gemalt - blieben in unserer Gegend den Marterln vorbehalten,
welche meistens bei Unglücksfällen während der Waldarbeit
an den Wegen aufgestellt wurden. Auch darauf war, meistens in einer Wolke,
die Tusseter Madonna als Trösterin des Verunglückten gemalt, z.
B. unterhalb des Hochbretter-Berges oder vor der Guthauser Haltestelle -
beim Zenzi - Engelbert Marterl.
In der Kapelle selber gab es nur Marienbilder - mit Ausnahme der Hinterglasbilder. Dicht gereiht hingen alle an den Holzwänden des Vorbaues. Das Kirchengestühl war aus Fichtenholz und gab in zwei Reihen aufgestellt, einen breiten Mittelweg frei, der den Blick zur Steinkapelle lenkte. Diese war durch ein einfaches Holzgitter abgeschlossen, das einen guten Durchblick zum Gnadenbild gewährte. Diese Gittertür wurde selbstverständlich bei Gottesdiensten geöffnet. Rechter Seite war noch eine Art Holzverschlag, der als kleine Sakristei diente. Hier wurde auch die "Rindenmadonna" für den Waldaltar zum 15. August aufbewahrt. Links von der Tür war ein kleiner - übrigens nie benutzter - hölzerner Predigtstuhl. Den Mittelgang des Vorbaues begrenzten eine Reihe hölzerner Pfeiler, welche die Dachkonstruktion des höheren, mittleren Dachteiles trugen. Wo die gewundenen Dachsparren die Querbalken schnitten, standen ebenfalls als Votivgaben verschiedene Marienstatuen, darunter mehrere Lourdesmadonnen, wie sie bei Steinbrener in Winterberg gefertigt wurden; aber auch gläserne, sogenannte Silber-Liebfrauen. Darunter waren an den langen
Trägerbalken als Besonderheit der Tussetkapelle kleine, weiße
Polster aufgehängt, welche mit einem Myrtenkränzchen und langen,
weißen Schleifen geschmückt waren. Diese Art von Weihegeschenken
an Maria sah ich bisher noch an keiner anderen Wallfahrtsstätte.
Die Erklärung dazu ist ganz einfach: Bei uns war das Sterben eines
Kindes nicht gerade eine Seltenheit. In den kinderreichen Familien gab
es solch trauriges Ereignis öfter. Dem Särglein eines Kindes
ging beim Leichenzug nach Böhm.-Röhren immer ein weißgekleidetes
Mädchen voran, das in seinen Händen solch ein kleines, weißes
Kissen mit dem Myrtenkranz trug. Es wurde dem Kind in das Grab "mitgegeben".
Nun gab es aber Fälle, wo ein Kind unter besonders tragischen Umständen
starb. Oft war es ein Unglücksfall, oder die "Halsbräune"
(Diphterie) raffte jählings ein größeres Kind hinweg.
Wenn da der Schmerz der Mutter schier unerträglich war, brachte sie
das weiße Pölsterchen mit dem Myrtenkrönlein in die Tussetkapelle.
Die Schmerzensreiche, die alles Leid der Erde bis zur Neige auskosten
musste, hat wohl auch da manchem Mutterherzen den Schmerz gelindert. |
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Erst wenn das Myrtenkränzchen
abblätterte und das weiße Kissen unansehnlich geworden war, wurde
es weggebracht - in der Annahme, dass nun das Leid gelindert wäre.
Dass Maria aber nicht nur in seelischer Bedrängnis half, sondern auch als Fürbitterin bei körperlicher "Bresthaftigkeit" geholfen hat, davon zeugten eine Reihe von recht primitiv aus Holz und Leder gefertigter Krücken und "Beinschienen", die neben dem Predigtstuhl hingen und lehnten. Den Abschluß des Holzanbaues bildete die weiß getünchte Mauer des Steinbaues. Auch hier hingen rund um das Holzgitter Marienbilder und Rosenkränze als Votivgaben. Das Gitter hatte rechter Hand eine kleine Öffnung. Dadurch konnte man leicht einen mächtigen, steinernen Opferstock erreichen und eine Gabe einwerfen. Der Opferstock stand schon in der Steinkapelle. Diese bot dem Besucher aber ein ganz anderes Bild als der Holzbau. Sie war hell und lichtdurchflutet; an beiden Seiten befanden sich große Fenster. Die weißen Wände und die hellblaue Decke erweckten einen ungemein freundlichen Eindruck. Hier hing auch kein einziges Wandbild. Der Fußboden war gelb gekachelt. Der Altar, schlicht und einfach gestaltet, bestand eigentlich nur aus einem einfachen Tisch mit zwei hellblauen Säulenaufsätzen und einer sparsam gemalten Blumenranke in bäuerlicher Manier. So wurde der Blick des Besuchers durch nichts abgelenkt und richtete sich magisch auf das große Gnadenbild der Gottesmutter. Ob er nun vor dem Holzgitter im dunklen Anbau stand, oder durch die geöffnete Tür dem Altar näherkam, immer blieb der Eindruck von Helle und Lieblichkeit, der von dem Bild ausging. Es lässt sich gut vorstellen, daß die innige Mutter/Kind-Beziehung des Bildwerkes trostreich und versöhnend auf das Herz eines betrübten Menschen gewirkt hat. Viele haben das wohl auch so empfunden und kehrten immer wieder zu diesem einsamen Wallfahrtsort zurück.
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Rund um den Tussetberg |
Böhmisch-Röhren
Das Pfarrdorf Böhmisch-Röhren
ist eine Gründung aus der Blütezeit des Goldenen Steiges. Hier
tränkten die Säumer ihre Pferde und so entstand der Name des
Ortes. Er liegt auf einer Hochebene, vom Sulzberg und Schillerberg eingefriedet,
nach Osten der Sonne offen. Trotz seiner geographischen Höhe von
930 m ü.d.M. war er bald schneefrei, kannte kaum die Reifnächte
des Frühlings und war daher ein beliebter Höhenluftkurort. Die
"Sommerfrischler" fanden in den vier Gasthöfen und in zahlreichen
Privatunterkünften gute Aufnahme. Der Ort war das Zentrum des großen
Kirchensprengels und daher gab es hier mehrere Geschäfte und Handwerksbetriebe,
besonders holzverarbeitende Betriebe jeder Art. Auch Arzt- und Poststelle
war im Ort. Die helle, freundliche Dorfkirche überragte das Dorf.
Sie wurde von 1788 bis 1791 als St.-Anna-Kirche erbaut. Den Kirchplatz
schloß ein geräumiger Pfarrhof ab. Unter der Kirche stand das
große Schulgebäude mit vier Klassen und der Lehrerwohnung.
Der Friedhof lag nicht bei der Kirche, sondern neben der Straßenabzweigung
nach Schillerberg. Zur Pfarrei Böhmisch-Röhren gehörten
die Dörfer Böhmisch-Röhren, Schönberg, Brandhäuser,
Neuthal, Tusset, Schwarzes Kreuz, Guthausen, Schillerberg, Oberzassau. |
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Das alte
Böhmisch-Röhren |
Böhmisch-Röhren liegt
nahe der Bayerischen Grenze und es wurde daher nach der Aussiedlung der
durchwegs deutschen Bevölkerung nur ganz gering besiedelt. Besonders
die Kirche, der Pfarrhof, die großen Gasthäuser und die Geschäfte
verkamen und verwahrlosten immer mehr. Deshalb wurde der ganze Ortskern
mit der Kirche im Jahre 1966 eingeebnet. Selbst Ortskundige finden kaum
mehr die Stätten ihrer Jugenderlebnisse. Böhmisch-Röhren hatte über 1.200 Einwohner. |
Tusset Das
nächstgelegene Dorf am Südhang des Tussetberges war Tusset.
Es war eine eigene politische Gemeinde, zu der noch Neuthal, Schwarzes
Kreuz, Pechofen und Grasfurth gehörten. Im Jahre 1939 zählte
man dort 678 Einwohner. Der Ort liegt an der Kalten Moldau und an der
Bahnlinie Wallern - Gojau, über Schwarzes Kreuz nach Haidmühle
- Passau. Im Jahre 1910 erhielt es eine Bahnstation. Das war für
Tusset sehr wichtig, denn der Ort war schon Jahrzehnte vorher geprägt
von der Holzindustrie. Franz Bienert, einer der vorausblickendsten Unternehmer
des Böhmerwaldes, gründete als zweite Resonanzholzfabrik, neben
Mader, in Tusset die Fabrik zur Verarbeitung dieses wertvollen Holzes.
Das geschah unter schwierigsten wirtschaftlichen Verhältnissen im
Jahre 1854. Die Leitung der Tusseter Fabrik vertraute er seinem Schwiegersohn,
Johann Wessely, einem gelernten Forstmann, an. Dieser erwies sich als
tüchtiger Geschäftsmann und beschäftigte bald über
100 Arbeiter. Dazu kam noch eine große Zahl von Frächtern,
denn das wertvolle Holz ging in die ganze Welt. Das Haus Bienert/Wessely
war außerdem im ganzen Umland als sehr gastfreundlich bekannt, und
so wurde auch die Grundlage gelegt für den zahlreichen Touristenzuspruch
in späterer Zeit. Der Gasthof "Forelle" war weitum bekannt
durch seine vorzügliche Bewirtung. Als Bienert und später auch
sein Schwiegersohn starben, kaufte im Jahre 1871 Fürst Schwarzenberg
den Betrieb. Die Tusseter Holzverarbeitung blieb weiterhin mustergültig
für alle ähnlichen Betriebe des Böhmerwaldes. |
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Tusset, Glöckelbauer (links die Kapelle mit dem Glockengestühl) |
Nach der Zerschlagung des großen
Wirtschaftsraumes der K. u. K. Monarchie stagnierte der Betrieb in Tusset,
aber als man es verstand, in einem besonderen Verfahren sehr günstig
Parketthölzer herzustellen, nahm dieser neue Industriezweig in der
Tusseter Fabrik bald einen großen Aufschwung. Parkettverleger aus
Tusset traf man sogar in der Zeit der großen Wirtschaftskrise auf
Schlössern und in Villen der ganzen Republik. Ihr handwerkliches Geschick
war berühmt. Der wirtschaftliche Wohlstand war in Tusset an den freundlichen,
sauberen Häuschen und an dem geselligen Treiben das ganze Jahr über
zu bemerken.
Im Ort war ein Postamt und eine zweiklassige Schule. Um 1785 erbaute der damalige Besitzer des Hauses Nr. 5, Urban Lukas, die kleine Dorfkapelle. Er stiftete Jahre später auch eine Nachbildung einer Tussetmadonna, die in der kleinen Altarnische Platz fand. In der Kapelle hielten die Pfarrherrn von Böhmisch-Röhren für die Tusseter Andachten und Christenlehren. Im Jahre 1925 ließ die Familie Schreiber (Glöcklbauer/Korlbauer) für eine Angelusglocke vor der Kapelle ein Glockengestühl mit einem Holzvorbau errichten. Dieses Glöcklein wurde von der Wohnstube des Anwesens Haus Nr. 5 aus geläutet. Auch in der neuen
Tussetkapelle in Philippsreut wird wieder ein Glöcklein zum Gebet
an die Gnadenmutter rufen. Eine großherzige Spende hat es möglich
gemacht. |
Guthausen |
Am Nordhang des Tussetberges lag die
jüngste Gemeinde des Bezirks, das Holzhauerdorf Guthausen. |
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Es wurde im Jahre 1816 bis 1819 durch einen Aufruf des Fürsten Schwarzenberg als Holzhauerdorf gegründet. Er hatte den Tussetberg nach einem langen Streit mit den Wallerern durch einen Vergleich im Jahre 1804 zugesprochen bekommen. Um sich nun weiterhin dem Zugriff der Wallerer Hüter und Holzfäller erwehren zu können, ließ er das neue Dorf in einem weit gezogenen Bogen Hausstelle an Hausstelle in der Gramet-Au am rechten Moldauufer anlegen. Die neuen Siedler kamen aus den umliegenden Dörfern und aus Bayern. Sie rodeten in mühevoller Arbeit das ihnen zugesprochene Fleckchen Erde und erbauten die ersten 35 Häuser in einer Reihe neben der Dorfstraße. Das zog ihnen den Spott der umliegenden Dörfer zu. Man sagte: "In Guthausen werden die Gänse nur auf einer Seite gebraten." Ob die Guthauser - sie waren überwiegend Holzhauer und Kleinlandwirte - überhaupt Gänse als Sonntagsbraten aßen, ist unwahrscheinlich.. Trotzdem waren sie wohl ein munteres, aufgewecktes Völkchen, denn man sagte auch: "Nach Guthausen geht man um ein Hirn!" Die örtliche Musikkapelle und der große Gesangverein genossen in der Umgebung einen guten Ruf. Im Jahre 1882 wurde eine zweiklassige Schule erbaut. Der Ort wuchs trotz der schweren Lebensbedingungen rasch an, 10 Kinder in einer Familie waren keine Seltenheit. Im Jahre 1946 standen dort 78 Häuser mit 580 Einwohnern. Guthausen ist heute zu drei Vierteln zerstört und fast menschenleer. |
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