Die Einweihung der neuen Tussetkapelle  
   
  am 27. Juli 1985  
   
Immer näher rückte der Tag, an dem die neue Kapelle in Philippsreut den Segen Gottes erhalten sollte. Das ganze Dorf rüstete sich, die festlichen Tage feierlich zu begehen. Bürgermeister Damasko übernahm die Arbeitsteilung der Vereine. Die Feuerwehr kümmerte sich um den Ordnungsdienst und das Aufstellen des Festzeltes in gebührendem Abstand von der Kapelle. Zwei große Begrüßungspforten aus Holz wurden
an der belebten Bundesstraße 12 zur Grenze hin vorbereitet. Alle Häuser wurden herausgeputzt und die Gehsteige davor gekehrt. Mit ihren blanken Fenstern wartete die freundliche Häuserreihe des  Fremdenverkehrsortes Philippsreut der festlichen Tage. Für den Gottesdienst vor der Kapelle wurde ein erhöhtes Podium gezimmert. Ein Mädchen übte fleißig sein Glöckneramt an der Glocke der Kapelle, ein anderes lernte eifrig das Begrüßungsgedicht für den Herrn Bischof. Im Garten von Frau Fruth flatterten an der Wäscheleine die blütenweißen Chorröcke der Ministranten. Emil Weber bastelte an dem Tragegerüst aus Birkenstämmchen für den Einzug des Gnadenbildes: Überall Festvorbereitung!
   
Dann rückte der kath. Frauenbund zum Girlandenbinden an. Eine steife Brise wehte von der Grenze her; gerade recht, das Reisergeflecht nicht welken zu lassen. Die blanken Holzbalken in der Kapelle, das Eingangstor, das Festpodium und die beiden Begrüßungstore, alles umwanden sie mit den grünen Girlanden. Jetzt lag ein anheimelnder, harziger Duft des Waldes über dem Festplatz.
   
So kam der 26. Juli - ein Freitag - mit strahlendem Sonnenschein heran. Von allen Seiten fuhren Autos und Busse mit den ersten Besuchern an. Der Blumenschmuck wurde angebracht und am Nachmittag war alles fertig und vorbereitet für den Beginn der Feierlichkeit. Diese begann mit der Ehrung unserer Toten, Gefallenen und Vermissten beim Kriegerdenkmal des Ortes.
Alle Vereine, Ehrengäste und viele Böhmerwäldler, Freunde der Mutter Gottes vom Tussetberg, hatten sich dort versammelt. Als das Lied vom Guten Kameraden über den Ort hinklang, war es, als grüßten die Gipfel des Kubany und Schreiner beistimmend über die Grenzwälder her. Diese ergreifenden Töne und die Worte des Bürgermeisters Damasko und Emil Webers ließen das Trennende eines Grenzschicksals vergessen. Der Böhmerwald war wieder eine Einheit, hüben wie drüben.
   
Beim anschließenden Zug durch das Dorf zog dann wieder heitere Festesfreude ein. Die Fahnen der Vereine blähten sich im Wind.
   
Die Trachten der Böhmerwaldjugend und der örtlichen Vereine ergaben ein buntes Farbenspiel im verhaltenen Ernst der Landschaft ringsum. Otto Veith und seine Helfer waren eifrig dabei, diese feierlichen Augenblicke für alle Zeiten im Film festzuhalten. An diesem und am nächsten Tag entstand so ein Zeitdokument, das auch noch nachkommenden Generationen zeigen wird, wie treu die vertriebenen Böhmerwäldler zu ihrer Heimat und ihren Heiligtümern stehen.
   
Der Abend im Festzelt vereinigte dann alle zu einem weiteren Heimatgedenken. Hohe Festgäste des Landes Bayern stellten sich ein: an ihrer Spitze der bayerische Staatsminister, Herr Franz Neubauer, Herr Landrat Schumertl als Schirmherr, Vertreter des Bezirkstages und der Regierung von Niederbayern, führende Vertreter der Heimatverbände und natürlich die Vorstände der Vereine, des Gemeinderates und viele Freunde und Gönner. Sie erfuhren nun etwas Näheres von der Planung und dem Bau der neuen Kapelle. Ehrungen wurden vorgenommen; die Stubenmusi von Waldkirchen umrahmte diese mit besinnlichen Klängen
   
Als später die Singgruppe der Böhmerwäldler aus Göppingen und Uhingen ihre waldlerischen Weisen sangen, und die Jugend alte Volkstänze vorführte, klang der Festabend in gelöster Vorfreude auf den Einweihungstag aus. Die geschmückte Kapelle erstrahlte in hellem Scheinwerferlicht; auch sie wartete auf den Höhepunkt - ihre Einweihung.
   
Doch in der Nacht zeigte der Himmel, wie einst so oft daheim, dass die letzte Planung aller Festveranstaltungen allein in seiner Hand liegt. Ein Gewitter zog über die Höhenrücken hin und ein richtiger Platzregen trommelte an die Fenster der Philippsreuter Stuben. Da war es um den Schlaf der Festordner geschehen! Zwar hörte das Trommeln der Regentropfen gegen Morgen auf,aber dichte graue Nebelschwaden bedeckten den Himmel.
Auch als die hohe Geistlichkeit und seine Exzellenz, der Hochw. Herr Bischof Dr. Eder aus Passau, in Philippsreut eintrafen, war das Wetter noch trübe und der Himmel grau verhangen.
Trotzdem ließ es sich der Herr Bischof nicht nehmen, das Gnadenbild aus der alten, verfallenen Kapelle am Tussetberg in feierlichem Zug vom Haus des Bürgermeisters in die neue Kapelle heimzuholen. Es wurde von weißgekleideten Mädchenauf der Birkenbahre mitgetragen.
   
Ein langer Zug von Geistlichen und Gläubigen bewegte sich nun der Kapelle zu, wo die Einweihungsfeierlichkeiten begannen. Viele Fahnenträger, Trachtengruppen und gläubige Menschen versammelten sich um den Feldaltar und hörten den Ansprachen der Festredner und der Predigt des Bischofs zu. Manche Träne floss dabei in der Erinnerung an ähnliche Worte einst unter den Bäumen des Tussetwaldes. Es schien, als wäre diese Rührung auch nach oben hin ansteckend; allmählich begann es zu tröpfeln und dann ganz kräftig zu regnen, als der Herr Bischof die feierliche Einweihung des Innenraumes, sowie des Altares der Kapelle vollzog.
   
Aber niemand ließ sich dadurch vom Platz vertreiben. Der Bischof meinte dann selber humorvoll: "Auch der Himmel spendet uns sein Weihwasser!" Durchnässt aber glücklich überstanden die Böhmerwäldler die Weihe ihrer Kapelle. Dort - im Innenraum - konnten nur Kranke, Alte und Behinderte einen Platz finden.
   
Als dann das Muttergottesbild auf den Altar gebracht wurde, waren gerade sie ihrer Lieben Frau am nächsten. Den ganzen Tag über war die Kapelle von Pilgergruppen besucht, und wie einst sangen und beteten sie ihre Wallfahrt vor der Tusseter Madonna. Diese lächelte nun wieder in ihrem alten Bild liebreich auf alle herab. Am Nachmittag klärte auch der Himmel auf und strahlte wieder in sonnigem Blau. Da konnten die Angehörigen der Pfarrei Kuschwarda das goldene Priesterjubiläum ihres letzten Pfarrers, des H. H. Hugo Rogmans im schönsten Sonnenlicht feiern. Rührend war das ungebrochene Erinnerungsvermögen des Jubilars, der an frohe Begebenheiten während seines Wirkens in Kuschwarda in schwerer Zeit erinnerte. Der Ortsbetreuer Erich Lang - einer seiner ehemaligen Ministranten - überreichte ihm eine geschnitzte Josefsfigur und eine Opferkerze zur Erinnerung.

Der festliche Tag klang aus mit einer Dankandacht in der Kapelle durch den Ortsgeistlichen, Herrn Pfarrer Richtsfeld. Dabei wurden von den Böhmerwäldlern wieder die alten Marienlieder gesungen und es zeigte sich, dass die Melodien aus der Kindheit noch allen geläufig waren. Maria hatte wieder wie einst eine Schar ihrer treuen Verehrer im Gedenken an manche Wallfahrt auf den Tussetberg im Gebet vereinigt. Jeder empfand wohl an dieser neuen, und doch vertrauten Wallfahrtsstätte in seinem Herzen die innige Bitte, die auf dem leinenen Altartuch steht: Schutzfrau des Böhmerwaldes, bitt' für uns!

 (RT)